MUSEUM
28 s/w-Fotografien von Automatenfotos


EIN LEBEN FÜR DIE KUNST

Für unsere erste museale Einzelausstellung räumte Jochen Ludwig, der Direktor des Museums für Neue Kunst Freiburg, die erste Etage frei. In acht Räumen widmeten wir uns Aspekten künstlerischer Produktion, Präsentation, Rezeption und Konsumption von Kunst.

Was macht eine Institution wie das Museum aus? Neben der sichtbaren „Hardware“ – Architektur, Sammlung, Ausstellung – ist es vor allem die Vielzahl von Menschen, die den Betrieb täglich am Laufen halten. In Freiburg inszenierten wir eine „Hall of Fame“, die all jene sichtbar machte, die sonst im Hintergrund bleiben.

In alphabetischer Reihenfolge versammelten wir für die Arbeit MUSEUM Passfotos von allen Beteiligten: vom Direktor bis zur Reinigungskraft, vom Restaurator bis zum Oberbürgermeister, der die Mittel bewilligt. Dazu kamen das technische und museumspädagogische Personal, die Aufsichten, die MitarbeiterInnen des Museumscafés, wissenschaftliche und freie Mitarbeitende, Maler, Sekretärinnen, Verwaltungsleiter, Hausmeister, der Direktor der Städtischen Museen, Fotograf, Schreiner, Kulturdezernent, Verwaltungssachbearbeiterin, Kassierer und Oberaufsicht.

28 Mitwirkende stellten uns ihr Passfoto zur Verfügung. Wir vergrößerten und rahmten die Bilder und hängten sie im Entrée des Museums – als sichtbares Netzwerk jener, die die Institution überhaupt erst möglich machen.


PROF. WILHELM LOTH / PROF. PETER DREHER
2 s/w-Fotografien von Passfotos

Der Raum, der der Akademie gewidmet war, zeigte in schweren Mahagonirahmen hochvergrößerte Fotografien unserer Professoren Peter Dreher und Wilhelm Loth. Beide hatten uns für die Arbeit Automatenfotos überlassen. Die monumentale Skalierung verwandelt das beiläufige Dokument in ein nahezu kanonisches Porträt, das die Aura des „Meisters“ heraufzubeschwören scheint und zugleich seine Hybris sichtbar macht.

Die Arbeit setzt genau dort an, wo sich künstlerische Identität oft formt: in der Biografie und der Formel „studierte bei …“. Sie dient als Herkunftsnachweis, Qualitätsversprechen, symbolisches Kapital. Mit PROF. WILHELM LOTH / PROF. PETER DREHER hinterfragten wir diese Praxis, indem wir das Bild des „Lehrenden“ aufbliesen – nicht um ihn zu glorifizieren, sondern um die Mechanismen zu zeigen, mit denen künstlerische Profile produziert werden.

So offenbart die Arbeit, wie Biografie im Kunstfeld funktioniert: nicht als neutrale Dokumentation von Fakten, sondern als erzählerisches Instrument, das Autorität, Genealogie und Zugehörigkeit zugleich behauptet und erzeugt.

Prof. Peter Dreher erwarb das Werk.


KÜNSTLERMODELLE,
10 s/w-Fotografien (Fundstücke)

Den Professoren gegenüber hing die achtteilige Fotoserie KÜNSTLERMODELLE, die ein weibliches Aktmodell bei hausfraulichen Verrichtungen in einer Küche zeigte – Motive, die wir in einem Buch für Künstler mit Aktfotografien von John Everard aus den 1950er Jahren entnommen hatten.


PSYCHOGRAMME,
s/w-Laserdrucke auf Bütten

Der Raum, der dem Künstlerbild gewidmet war, präsentierte 24 PSYCHOGRAMME bestehend aus Aufnahmen von uns in wechselnder Kleidung und Posen. Wir imitierten Haltungen, die typischerweise in den Fotostudios der 1950er Jahre eingenommen wurden, inspiriert vom Jahrbuch des Bryn Mawr College aus dem Jahr 1958, in dem Christiane Dellbrügges Mutter dort ihren Abschluss machte.

Unter den Fotos sind Kurven eines „Psychoprinters“ zu sehen, der Haltung und Ausdruck zu interpretieren scheint und die Vorstellung suggeriert, Persönlichkeit ließe sich aus fotografischen Oberflächen herauslesen.

PSYCHOGRAMME,
s/w-Laserdrucke auf Bütten

SOUVENIRS AUS DER MUSEUMSBOUTIQUE
Museum für Neue Kunst, Freiburg 1991

Eine MUSEUMSBOUTIQUE verspricht BesucherInnen Teilhabe durch Konsum. Sie fungiert als Schnittstelle zwischen Institution und Publikum: als Ort, an dem symbolisches Kapital in Warenform überführt wird. Wir widmeten diesem Mechanismus einen eigenen Raum und statten ihn mit den typischen Artikeln musealer Selbstvermarktung aus.

Aus einer Sammlung von Fotografien internationaler Museumsshops – Wien, Chicago, Eindhoven, Mailand, Winnipeg, New York, Paris, Budapest, Berlin, London, München und Brüssel – entstand eine Auflage von sieben Echtfoto-Postkarten.

Die mattschwarzen Siebdruckplakate trugen kanonische Sätze zum Kunstverständnis, die wir aus Interviews und Texten zusammengetragen hatten. Dieselben Formulierungen fanden sich auch auf T-Shirts wieder – bereit zum Kauf, bereit zur Identifikation.

SOUVENIRS AUS DER MUSEUMSBOUTIQUE
Museum für Neue Kunst, Freiburg 1991

SOUVENIRS AUS DER MUSEUMSBOUTIQUE
Museum für Neue Kunst, Freiburg 1991

Postkarte New York, Foto: Jennifer Levy

Postkarte Budapest, Foto: DdM

Postkarte Paris, Foto: Kristian Barthod

Postkarte Mailand, Foto: Wayne Baerwaldt

Postkarte Wien, Foto: Christian Stock

Postkarte Chicago, Foto: Max King Cap

Postkarte Berlin, Foto: DdM

SOZIALE KONTROLLE / LEXIKALISCHE ZEICHNUNGEN
Museum für Neue Kunst, Freiburg 1991

LEXIKALISCHE ZEICHNUNGEN
Museum für Neue Kunst, Freiburg 1991

1991 zeigte das Museum für Neue Kunst im Rahmen der Sonderausstellung DELLBRÜGGE DE MOLL. EIN LEBEN FÜR DIE KUNST zwei Arbeiten, die im Vorfeld, aber unabhängig voneinander entstanden waren, als Ensemble unter dem Titel SOZIALE KONTROLLE. In einem der sieben Ausstellungsräume waren neun Kinderstühle in drei Reihen hintereinander blockartig zusammengestellt, die Lehnen zur Fensterfront gerichtet. So dem Raum zugewandt, hätten darauf Platz nehmende Kinder, die an drei Wänden tief gehängte Reihe beschrifteter Schiefertafeln bestens im Blickfeld gehabt. Die vermutlich gerade mal für Erstklässler geeigneten Stühlchen haben Rahmen aus Buchenholz, die Lehnen und Sitzflächen sind aus rot lackiertem und geleimten Bugholz. Die Schultäfelchen in Nadelholz-Rahmen mit abgerundeten Ecken und seitlichen Lochbohrungen zeigen LEXIKALISCHE ZEICHNUNGEN, die einer Ausgabe des Bertelsmann Volkslexikon von 1956 entstammen und von Dellbrügge de Moll als Vorlagen verwendet wurden. Mit weißen Griffeln sind die aufnotierten Begriffe mittels einfachen, dabei filigranen Zeichnungen bildhaft und anschaulich visualisiert.

Wie selbstverständlich fügt sich die Installation in die Räume des MNK, das als ehemaliges Schulgebäude weiterhin als „Lehranstalt“ genutzt wird. Das Museum nicht nur als Oase der Erbauung, sondern auch als Ort der Lern- und Wissensvermittlung. Als Ensemble ergänzen und verstärken sich die heidenformal sehr unterschiedlichen Arbeiten mit durchaus eigenen inhaltlichen Schwerpunkten in ihrem installativen Charakter und ihrer Aussage.

Die Präsentation von heute irrelevant gewordenem Wissen in Gestalt veralteter „Hard- und Software“, mit der die Erinnerung an Täfelchen anstelle von Schulheften ebenso geweckt wird wie die Assoziation von großen Tafeln statt Overhead-Folien und Beamern, verweist zugleich in einem grundsätzlicherem Sinn auf die Diskrepanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Bei den Stühlen, Symbolträgern von Disziplin und Ordnung und gleichgesetzt mit dem Schulbeginn als Einstieg in die Phase des Wissen anhäufenden Lernens, schwingt aber auch – mit leichter Wehmut – die Frage nach dem möglichen Verlust grenzenloser Entfaltungsfreiheit mit.

Dellbrügge de Moll, die seit 1984 Kontext bezogen und Medien übergreifend an Schnittstellen von öffentlichen und institutionellen, inzwischen auch digitalen Räumen arbeiten, schufen mit dieser Installationen vorstellungsmächtiges Werk, das gerade aus seiner gleichsam miniaturisierten Objektsprache subversive Wirkung bezieht. Die Schiefertafeln als Träger von Informationen, die aufgetragen und wieder weggewischt werden, stehen mit ihrem nostalgischen Charme für die Vergänglichkeit per se und verweisen zudem auf die Halbwertzeit mancher wissenschaftlichen Erkenntnis. Oder anders formuliert: Die zukünftige Bedeutung und Tragfähigkeit neuer wissenschaftlicher Errungenschaften erweist sich – im Positiven wie im Negativen – erst im Nachhinein, im kontinuierlich zu überprüfenden Gesamt-Kontext. Eingebettet in das jeweilige gesellschaftliche Umfeld, ergeben sich immer wieder neuartige Fragen und Aspekte der Bewertung, eng verbunden mit der individuellen Entfaltungsmöglichkeit des Einzelnen. So kann der subtil angeregt Besucher über Disziplin und Reglement, Lernen und Lehren, Freiheit des Geistes und Logik des Denkens, über Erziehung und Bildung, Wissen und Macht reflektieren. Und die Wirkkraft empfinden, mit der künstlerische Eingriffe uns diese Welt vor Augen führen.

Christine Moskopf: „Dellbrügge de Moll“ in: „Bilder Skulpturen Objekte“, Museum für Neue Kunst, Freiburg 2009


Der Raum BESUCHER widmete sich einer oft unausgesprochenen Wahrheit: Für ein Museum stellen BesucherInnen nicht nur das Publikum, sondern zugleich auch den größten denkbaren Risikofaktor dar. Die destruktive Energie, die Ausstellungsbesuche mitunter freisetzen, hat Peter Moritz Pickshaus in seinem Buch „Kunstzerstörer“ anhand zahlreicher, teils spektakulärer Fälle eindrucksvoll dokumentiert.

Unsere Arbeit griff diese Ambivalenz auf. Indem wir die Bewegungen und Blicke von BesucherInnen erfassten, lenkten wir den Fokus auf die potenzielle Bedrohung, die im scheinbar harmlosen Flanieren durch Ausstellungsräume liegt. Rückblickend könnte man sagen, dass wir damit früh jene Logiken vorwegnahmen, die später in der Gesichtserkennungssoftware technologisch präzisiert wurden: die algorithmische Vermessung, Überwachung und Bewertung des Verhaltens von Menschen im Raum.

So verhandelte BESUCHER nicht nur Risiken für die Kunst, sondern auch ein Bewusstsein für die Kontrollarchitekturen, die museale – und öffentliche – Räume zunehmend bestimmen.

BESUCHER
Videoprints


EXPERIMENT
Computeranimation und drei Planzkästen

Im Raum EXPERIMENT gruppierten wir drei Pflanzkästen um einen Monitor. Darauf war die Computeranimation einer langsam rotierenden Topfpflanze zu sehen; zu synthetischen Klängen lief am unteren Bildrand eine Kurve. Diagramme und Grafiken zu Wachstum und geografischer Verbreitung der Pflanze ergänzten die Animation zu einem „Lehrfilm“.
Insofern korrespondierte die Installation mit den Schultafeln, die komplexe Sachverhalte in einfache Bilder übersetzen und so ein (Ein)verständnis erzeugen; mit den Psychogrammen verband sie die Simulation von Wissenschaftlichkeit.